Momentum Quarterly

/ 3. Januar 2022

Momentum Quarterly ist eine vierteljährlich erscheinende, begutachtete („peer review“)  Zeitschrift, die sich Fragen des sozialen Fortschritts auf interdisziplinärer Basis widmet. Untenstehend finden Sie die aktuelle Ausgabe von Momentum Quarterly. Alle hier vorgestellten Artikel werden Open-Access, d.h. frei zugänglich im Internet, veröffentlicht. Weitere Informationen finden Sie unter www.momentum-quarterly.org. Wir freuen uns stets über neu eingereichte Beiträge (siehe dazu die Richtlinien für Beitragseinreichung) und über Kommentare zu bestehenden Beiträgen. Sie erreichen uns unter editors@momentum-quarterly.org.

Die Solidaritätsprämie als verpasste Chance? Gründe für und Maßnahmen gegen eine geringe Teilnahme an einer österreichischen Arbeitszeitverkürzungsmaßnahme

Astrid Hohner, Raphael Kaufmann, Sidonie Ulreich, Tabea Wich

Abstract:

In diesem Beitrag wird die österreichische Solidaritätsprämie untersucht, die Arbeitszeitverkürzung (AZV) mit aktiver Arbeitsmarktpolitik (AAMP) kombiniert. Trotz ihrer vielfältigen Vorteile sind die Teilnahmezahlen an der Solidaritätsprämie relativ gering. Wir analysieren Gründe für die mangelnde Teilnahme und skizzieren mögliche Reformvorschläge. Aufbauend auf einer umfassenden Literaturrecherche werden Hypothesen entwickelt und fünf Expert:inneninterviews geführt. Mithilfe der Framework-Analyse strukturieren wir die Daten und untersuchen die Hypothesen. Wir stellen fest, dass die Teilnahme an der Solidaritätsprämie durch vier Faktoren eingeschränkt wird: (i) das Fehlen direkter finanzieller Vorteile für die Arbeitgeber:innen, (ii) firmenspezifische Merkmale, (iii) die Vorbehalte der Arbeitnehmer:innen gegenüber AZV und (iv) mangelnde Information und Bewerbung. Wir schlagen daher folgende Maßnahmen vor: (i) finanzielle Anreize für Arbeitgeber:innen, (ii) Anpassungen der Teilnahmekriterien und (iii) Informations- und Werbekampagnen. Aufgrund des dualen Charakters der Solidaritätsprämie tragen unsere Ergebnisse zu einem besseren Verständnis der Umsetzung von AAMP und AZV bei.

Schlagworte: Arbeitszeitreduktion; aktive Arbeitsmarktpolitik; Arbeitgeber:innenbeteiligung; Solidaritätsprämie; Expert:inneninterviews

Gerechtigkeitsüberlegungen zur Robotersteuer: Sollen wir die Automatisierung besteuern, um Arbeitsplätze zu erhalten?

Elias Moser

Abstract:

Ein aktueller politischer Vorschlag zur Bewältigung des Problems einer möglichen Massenarbeitslosigkeit durch künstliche Intelligenz sieht vor, dass der Staat eine Steuer auf arbeitsersetzende Technologien erhebt. Die Idee ist es, Arbeitsplätze zu erhalten, indem man Anreize gegen die Automatisierung schafft. In diesem Artikel unterziehe ich den Vorschlag einer normativen Analyse. Ich zeige, dass mit Blick auf gängige Konzeptionen der Verteilungsgerechtigkeit unklar ist, ob es gerechtfertigt ist, einen potenziellen Einkommenszuwachs von Konsumentinnen und Konsumenten durch die Automatisierung zu verhindern. Vor allem aber untersuche ich das moralische Ideal, das hinter dem normativen Anspruch steht, Arbeit zu erhalten. Ich argumentiere dafür, dass die Gründe für eine Robotersteuer auf strittigen Überzeugungen über den Wert der Arbeit beruhen, und komme zum Schluss, dass eine moralische Argumentation für die Einführung einer Robotersteuer berechtigten Zweifeln unterliegt.

Schlagworte: Automatisierung; Robotersteuer; Verteilungsgerechtigkeit; Wert der Arbeit; Bedingungsloses Grundeinkommen

Die Gilets Jaunes: Ein symptomatischer Konflikt in einer ‚Klassengesellschaft ohne Klassen‘

Jorin vom Bruch

Abstract:

Die Protestbewegung der Gilets Jaunes wird als ein spezifisch postfordistischer Klassenkonflikt analysiert. Auf der Grundlage des begrifflichen Instrumentariums der Marx’schen Klassentheorie werden empirisch gestützte Thesen über die Charakteristika der Bewegung formuliert. Der Protest der sogenannten Gelbwesten gegen die Erhöhung der Benzinsteuer artikuliert ökonomisch begründete Existenzängste, die von weiten Teilen der Klasse der Lohnabhängigen geteilt werden. Die militanten Demonstrationen, die Blockaden der Kreisverkehre und die heterogenen Äußerungen der Demonstrierenden deuten auf eine ungewöhnliche Form der Konfliktaustragung hin. Es wird gezeigt, dass die neoliberale Reorganisation der französischen Gesellschaft durch die Prekarisierung der Arbeitswelt, die Fragmentierung der industriellen Beziehungen sowie eine zunehmende sozialräumliche Polarisierung die Entstehung von „nicht normierten“ Konflikten begünstigt. Während – über das Beispiel Frankreich hinaus – strukturelle Klassenunterschiede an Bedeutung gewinnen, verbleiben institutionalisierte Formen der Verarbeitung von sozialer Ungleichheit weitgehend marginalisiert. Zusammengenommen ergibt sich das widersprüchliche Bild einer Klassengesellschaft, die sich ihren eigenen Bewegungsdynamiken nicht bewusst wird. Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach Ansatzpunkten für eine gewerkschaftliche Praxis diskutiert.

Schlagworte: Klassenkonflikt; Gelbwesten; Postfordismus; Klassentheorie; Gewerkschaften

Arbeit in der legalen Grauzone: Steuerprofessionelle in einer transformierenden Sinnkrise?

Silke Ötsch, Stephanie Buchholz, Fabian Lochner

Abstract:

Der Beitrag untersucht am Fallbeispiel von Steuerprofessionellen, ob Sinnstiftung in einer Legitimationskrise ein transformierendes Potenzial hat. Die Branche der Steuerberatung hat durch Skandale und verstärkte Regulierungsanstrengungen Transformationserfahrungen. Spielt Sinn für Professionelle in der Krise eine Rolle und zeichnen sich geänderte Formen der Sinnstiftung ab? Wir bearbeiten diese Fragestellung unter Rückgriff auf Axel Honneths Anerkennungsthese, die über eng gefasste Sinnkonzepte hinausgeht und es erlaubt, Sinnstiftung unter Steuerberater:innen im gesellschaftlichen Kontext zu erfassen. Die Rahmung eignet sich hier, weil die Interaktion der Anerkennungssphären der Wertschätzung und des Rechts verbunden mit Fragen des gesellschaftlichen Fortschritts diskutiert werden können. Die Analyse stützt sich auf über 40 qualitative semi-strukturierte Interviews mit Steuerberater:innen. Sie zeigt eine dehnbare Verwendung von Begriffen der Wertschätzung, neben einem zugleich inkludierenden und exkludierenden Charakter von Recht. Eine Sinnkrise ist nur ansatzweise zu erkennen. Einige Akteur:innen reagieren stattdessen mit verstärkter Lagerbildung und Kampfmodus.

Schlagworte: Transformation; Steuergestaltung; Professionssoziologie; Anerkennung; Sinnstiftung