Momentum Quarterly

/ 11. August 2022

Momentum Quarterly ist eine vierteljährlich erscheinende, begutachtete („peer review“)  Zeitschrift, die sich Fragen des sozialen Fortschritts auf interdisziplinärer Basis widmet. Untenstehend finden Sie die aktuelle Ausgabe von Momentum Quarterly. Alle hier vorgestellten Artikel werden Open-Access, d.h. frei zugänglich im Internet, veröffentlicht. Weitere Informationen finden Sie unter www.momentum-quarterly.org. Wir freuen uns stets über neu eingereichte Beiträge (siehe dazu die Richtlinien für Beitragseinreichung) und über Kommentare zu bestehenden Beiträgen. Sie erreichen uns unter editors@momentum-quarterly.org

 

Das große Versagen in der Pandemie: Macht- und herrschaftskritische Anmerkungen zu den intersektionalen Dimensionen einer politisch gemachten Katastrophe

von Nadja Meisterhans

Die Coronakrise verdeutlicht auf drastische Weise, dass Krankheiten nicht vor Staatsgrenzen haltmachen, sondern eine globale Dimension haben. Der zentrale Gedanke dieses Beitrags ist, dass die macht- und herrschaftsstrukturellen Ursachen und Auswirkungen der (nicht erst seit der Pandemie) bestehenden globalen Gesundheitskrise nach wie vor kaum in den Blick genommen werden. Das Ausblenden der strukturellen Ursachen multipler und miteinander verflochtener Krisen ist jedoch einer der Hauptgründe, warum das Pandemiegeschehen intersektionale Ungleichheiten und Machtasymmetrien weltweit verschärft und strukturell benachteiligte gesellschaftliche Gruppen in geradezu nekropolitischer Weise von populistisch agierenden Regierungen im Stich gelassen, teilweise sogar zu Sündenböcken gemacht werden. Trotz dieser skeptischen Diagnosen werden im letzten Teil des Beitrags Perspektiven einer Critical Global Governance for Health skizziert, die in (post)pandemischen Zeiten Anwendung finden könnten.


Schlagworte: Global Governance for Health, Menschenrecht auf Gesundheit, Nekropolitischer Populismus, Postkoloniale Macht- und Herrschaftskritik

 

Nicht ohne ihre Kämpe! Arbeits- und Lebensbedingungen der 24-Stunden-Betreuer*innen und vieles zu lernen für feministische Theorie 

von Carina Maier

Dieser Beitrag richtet den Fokus auf transnationale vergeschlechtlichte (Sorge-)Arbeitsverhältnisse und stellt eine analytische Perspektive vor, die von den politischen Kämpfen migrantischer Sorgearbeiter*innen, die als sog. 24-Stunden-Betreuer*innen arbeiten, ausgeht. Nach einer Rekonstruktion der Legalisierung des Arbeitsbereichs in Österreich und der spezifischen Regulierung werden im Text mit Rückgriff auf intersektionale (queer-)feministische Ökonomie- und Ideologiekritik die spezifischen (transnationalen) Arbeits- und Lebensbedingungen der migrantischen Sorgearbeiter*innen analysiert. Ein feministisches Verständnis von Krise ermöglicht es dabei, den Blick auf spezifische Sichtbar- und Unsichtbarmachungen der prekären Arbeitsbedingungen und der Dauerkrise der Sorge allgemeiner zu richten. Es wird deutlich, dass das Ideal der Sorge als familiale Arbeit im Live-In-Modell tradiert wird. Anknüpfend daran wird die feministische Kritik einer systemimmanenten Unsichtbarmachung, Abwertung und Verteilung von Sorgearbeit mit Elementen von Sorge, die die verkörperten Abhängigkeiten ins Zentrum setzen, verknüpft. Damit wird der Blick auf eine oftmals verborgene Solidarität zwischen den Sorgenden und Versorgten gelenkt.


Schlagworte: Sorgearbeit, 24-Stunden-Betreuung, Arbeitskampf, Transnationale Arbeitsverhältnisse, Krise, feministische Gesellschaftstheorie

 

Digitalisierung in der Krise: Geschlecht, Konzentration und Organisierung. Perspektiven für die Arbeitnehmer*innen-Interessensvertretung

von Astrid Schöggl und Christian Berger 


Hinter digitalen Technologien liegen mathematische Modelle, die einer 1- oder 0-Logik folgen. Diese Modelle sind keine Naturgesetze, sondern der Versuch, die Realität in einer solchen Logik abzubilden. Demnach sind Technologien nicht neutral, sondern bilden bestehende Machtverhältnisse ab oder begünstigen gar ihre Verfestigung. In der Coronakrise wurde ein Großteil des beruflichen wie privaten gesellschaftlichen Geschehens in den digitalen Raum verlagert. Dadurch lassen sich zentrale Konfliktlinien der Digitalisierung, die Interessensvertretungen beschäftigen, zugespitzt beobachten. Zentrale Spannungsfelder betreffend die geschlechtliche Arbeitsteilung und die Verkehrung von öffentlich vs. privat, die Macht- und Kapitalkonzentration bei den IKT-Konzernen und eine Krise der Organisierung in der digitalen Arbeitswelt. Diesen Herausforderungen zu begegnen erfordert, dass Interessensvertretungen den technologischen Wandel als sozialen Prozess erfassen, diese Machtverhältnisse begreifen und entsprechende Antworten finden.


Schlagworte: Interessensvertretung, Digitalisierung, Machtkonzentration, Geschlecht, Krise 

 

Corona Fictions als kulturelle Indikatoren sozialer Kohäsion und Resilienz im Zuge der Corona-Pandemie

von Julia Obermayr und Yvonne Völkl  

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie haben sich viele Europäer*innen auf bereits existierende schriftliche und audio- visuelle ‚pandemic fictions‘ zur Sinnstiftung oder als Coping-Strategie gestützt. Auf kultureller Ebene produzierten zwei Jahre nach Beginn der Krise zahlreiche europäische Länder ihre eigenen Corona Fictions, die Narrative zur aktuellen Pandemie bieten. Auf gesellschaftlicher Ebene deuteten diese Narrative bereits früh auf mögliche Brüche der sozialen Kohäsion hin. Kulturelle Produktionen dienen in der Regel dem sozialen Zusammenhalt, indem sie gegenseitiges Verständnis und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit fördern, insbesondere wenn man Narrative im Internet oder in literarischen Anthologien im Hinblick auf ihren partizipativen Charakter betrachtet. Als Teil eines größer angelegten Forschungsprojekts geht dieser Artikel folgenden Fragen in zwei frankophonen Kulturproduktionen der Covid-19-Pandemie nach: In welchen Bereichen ist der soziale Zusammenhalt erschüttert oder zerbrochen? Wie zeigen sich die durch die Pandemie verschärften geschlechtsspezifischen Probleme/Ungleichheiten in der Darstellung von Frauenfiguren in Corona Fictions?


Schlagworte: Corona Fictions, Pandemie, soziale Kohäsion, Resilienz, Gender