Momentum Quarterly ist eine vierteljährlich erscheinende, begutachtete („peer review“) Zeitschrift, die sich Fragen des sozialen Fortschritts auf interdisziplinärer Basis widmet. Untenstehend finden Sie die aktuelle Ausgabe von Momentum Quarterly. Alle hier vorgestellten Artikel werden Open-Access, d.h. frei zugänglich im Internet, veröffentlicht. Weitere Informationen finden Sie unter www.momentum-quarterly.org. Wir freuen uns stets über neu eingereichte Beiträge (siehe dazu die Richtlinien für Beitragseinreichung) und über Kommentare zu bestehenden Beiträgen. Sie erreichen uns unter editors@momentum-quarterly.org.
Die Stille Reserve in Österreich – ein ungenütztes Arbeitskräftepotenzial
von Johann Bacher, Sandra Bröderbauer, Thomas Pilgerstorfer, Dennis Tamesberger
Einer arbeitsmarktpolitisch relevanten Gruppe wurde und wird derzeit in Österreich kaum Beachtung geschenkt, nämlich der sogenannten Stillen Reserve. Das Ziel des Beitrages ist das Schließen dieser Lücke, indem empirisches Wissen über die Stille Reserve bereitgestellt wird. Dazu wird auf die Definition von Statistik Austria zurückgegriffen, der zufolge die Stille Reserve jene Personen umfasst, die aktuell aus unterschiedlichen Gründen zwar keine Stelle suchen, aber dem Arbeitsmarkt unmittelbar zur Verfügung stehen. Als Datenbasis wird u. a. der Mikrozensus 2016 bis 2020 verwendet. Entsprechend der Definition von Statistik Austria gehören abhängig von der Konjunktur 100.000 bis 150.000 Personen der Stillen Reserve an. Ihre Bildungsabschlüsse und beruflichen Qualifikationen streuen zwar, lassen aber eine Konzentration auf geringe Bildungsabschlüsse und Hilfstätigkeiten erkennen. Ein fiktives Matching zeigt auf, dass einem Viertel bis der Hälfte von ihnen einer Stelle zugeordnet werden könnte. Dass die Stille Reserve eine relevante arbeitsmarktpolitische Größe darstellt, lässt sich auch daran erkennen, dass sich die internationale Arbeitslosenquote um bis zu 3,2 Prozentpunkte erhöhen würde, wenn sie in die Berechnung einbezogen wird.
Schlagworte: Arbeitsmarkt; Stille Reserve; Mikrozensus
Zukunftsszenarien der Arbeit: Diskursive Versprechen, gelebte Realitäten und das Gespenst der Regression
von Stefan Sauer, Manuel Nicklich
Der Diskurs rund um Digitalisierung hat sich – so unsere Ausgangsdiagnose – von der erfahrbaren Realität (nicht nur) in der Arbeitswelt abgekoppelt. Es dominieren wolkige Versprechungen in Zusammenhang mit neuen Arbeitsformen einerseits und Drohszenarien von der massenhaften Substitution menschlicher Arbeit andererseits. Dies birgt, wie wir unter Rückgriff auf Gedanken der Kritischen Theorie und insbesondere von Erich Fromm ausführen, die Gefahren einer Regression im Sinne einer Hinwendung an ‚alte‘ Autoritätsfiguren oder eines fatalistischen Solutionismus. Als Alternative hierzu schlagen wir eine auf Erfahrung basierende Auseinandersetzung mit digitalen Unterstützungsmöglichkeiten für menschliche Arbeitstätigkeiten vor.
Schlagworte: Digitalisierung; Arbeit; Innovation; Kritische Theorie
Über die Zukunft des Terminus Neoliberalismus: Eine kritische Auseinandersetzung
von Rouven Reinke
Dieser Beitrag fragt nach einer zeitgemäßen Verwendung des Begriffs Neoliberalismus innerhalb der kritischen Wissenschaft. Der Neoliberalismus wird dabei einerseits als polit-ökonomische Theorie und andererseits als ein Bündel von praxispolitischen Maßnahmen und deren gesellschaftlichen Realisierung verstanden. Parallel zu seinem globalen Siegeszug hat sich der Neoliberalismus in der kritischen Wissenschaft aber auch als ein Distinktionsbegriff etabliert, wonach die Zuschreibung neoliberal als politischer und normativer Herabstufungsmechanismus fungiert. Durch die Verwendung des Begriffs Neoliberalismus kann die antagonistische Konfliktstellung in der kapitalistischen Gesellschaftsformation deutlich gemacht werden. Angesichts eines sich wirtschaftspolitisch teilweise abzeichnenden Post- Neoliberalismus erfordert der Rückgriff auf den Terminus Neoliberalismus zukünftig gleichwohl ein hohes Maß an analytischer Klarheit, damit ein kritischer Zugang zu den bestehenden Strukturen in Ökonomie und Gesellschaft gegeben ist.
Schlagworte: Neoliberalismus; Politische Ökonomie; Wirtschaftspolitik; Antagonismus; Rolle von Wissenschaft
Widersprüche der Erwerbsarbeit: eine immanente Kritik der Leistungsgerechtigkeit
von Tobias Maier
Leistungsgerechtigkeit ist einerseits zentral für das Verständnis von Erwerbsarbeit im Kapitalismus. Andererseits scheint sich das Prinzip nicht mit den realen Einkommensungleichheiten kapitalistischer Gesellschaften zu decken – ein Hinweis auf einen Widerspruch im Verständnis von Lohnarbeit als leistungsgerecht? Diese Frage wird untersucht, indem die normative Verfasstheit der Praktiken des (Arbeits-)markts rekonstruiert und auf Widersprüche zum Leistungsprinzip hin untersucht werden. Erwerbsarbeit und Markt werden dabei als Lebensformen im Sinne Rahel Jaeggis verstanden, als Sets von Praktiken, die durch Normen strukturiert sind. Der zentrale Befund ist, dass die marktliche Organisation von Erwerbsarbeit an ihrem immanenten Anspruch scheitert, Entlohnung von Leistungen abhängig zu machen – und zwar zwangsläufig. (Arbeits-)Märkte sind vom Effizienzprinzip geleitet; dies widerspricht dem Leistungsprinzip darin, dass Marktmacht ausgenutzt und Arbeitsaufwand nicht berücksichtigt wird.
Schlagworte: Leistung; Meritokratie; Erwerbsarbeit; Markt; Gerechtigkeit